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Umweltbundesamt
Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene
Dr. Dorau

Original Word Dokument: UBA_KS.DOC

Brief an Stadträtin Monika Wiebusch

Betreff: Ausbau der Kläranlage Kassel

19. Januar 1999


Umwelt

Bundes

Amt

 

Institut für Wasser-,

Boden- und Lufthygiene

 

Umweltbundesamt Postfach 330022 14191 Berlin

Dezernat für Stadtentwicklung
z.H. Frau Stadträtin Monika Wiebusch
Obere Königstr. 8

34117 Kassel

Datum:
Bearbeiter/in:
Tel.-Durchwahl

Geschäftszeichen:
19. Januar 1999
Dr. Dorau
030/8903-4123
             -4152 (Fax)
V 3.5-98/115 15

 

——————————
(Bitte stets angeben!)
BR99-115.DOC

 

Betreff: Ausbau der Kläranlage Kassel

Bezug: Anhörung im Rathaus am 3.12.1998

Anlagen: -4-

 

 

Sehr geehrte Frau Wiebusch,

 

wir kommen mit diesem Schreiben einer Anregung von Frau Weber aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nach, die uns bat, in einer Art Resümee die Problematik des Kläranlagenausbaus nach konventioneller Methodik zu skizzieren und mit einigen ergänzenden und kritischen, hoffentlich hilfreichen Bemerkungen die Kostendiskussion aus unserer Sicht zu kommentieren.

Wir fügen vier Veröffentlichungen bei, die Ihnen die Motivation etwas ausführlicher darlegen, warum wir die Einführung der Mikroflitration in die kommunale Abwasserreinigung nicht nur für wünschenswert, sondern gerade aus der Analyse der konventionellen Technik heraus für geradezu geboten halten. In den beigefügten Vortragsmanuskripten von Dr. Dorau sind unter dem Stichwort "Wege in Sackgassen" die prinzipiell nicht behebbaren Leistungsdefizite der klassischen kommunalen Klärtechnik aufgezeichnet. Das heißt, man kann für die Einführung der Mikrofiltration in die kommunale Klärtechnik begründet votieren, ohne auch nur einen einzigen Gedanken an die fehlende Abwasserhygienisierung zu verschwenden. Die in Kassel geführte Diskussion um die Einführung der Denitrifikation ist ein beinahe klassisches Lehrbeispiel für die Bestätigung der Grundkritik, daß selbst geringe Verbesserungen der klassischen Gewässergüteparameter nur noch mit unverhältnismäßig und vielleicht unvernünftig hohem Aufwand erreichbar sind, wenn die Methodik der klassischen Klärtechnik kritiklos beibehalten wird.

Obwohl wir die institutionalen Zwänge kannten und kennen, sind wir der Einladung dennoch gefolgt, um Ihnen und dem Auditorium zu zeigen, wie dringend bei der Abwasserreinigung die Funktion des Gesundheitsschutzes neben der Funktion des Gewässerschutzes geworden ist. Wir können die Warnsignale sprunghaft ansteigender Antibiotikaresistenzen in den Gewässern nicht länger ignorieren. Wir können auch nicht ignorieren, daß wir in Deutschland mit dem flächendeckenden Anschluß der Bevölkerung an Kanalisation und an Kläranlagen (ungewollt) ein System errichtet haben, das sich zur idealen Ausbreitung von Stoffen eignet, die in Kläranlagen nicht entfernt werden. Krankheitserreger, Antibiotikaresistenzen, Arzneimittelreste, hormonell wirkende Stoffe in kleinsten Konzentrationen, Umweltchemikalien sind Beispiele für solche Stoffe. Die vorgenannten Stoffe sind - abgesehen von Umweltchemikalien - dadurch gekennzeichnet, daß sie sich grundsätzlich nicht vermeiden lassen, weil sie an menschliche Ausscheidungen gebunden sind und mit ihnen transportiert werden. Emissionspfade aus Kläranlagen sind sowohl Einleitungen in Gewässer als auch die landwirtschaftliche Verwertung von Klarschlamm.

Wir betrachten es als einen Glücksfall, daß wir mit der Kombination aus Dickschlammbiologie und Membrantechnik und der Betriebsweise der Nahrungslimitierung bzw. der Limitierung des organischen Kohlenstoffs (kurz: Corg-Limitierung) eine Methodik gefunden haben, die die hygienischen Probleme in einem Schritt praktisch vollständig und hygienisch widerspruchsfrei löst und darüber hinaus auch die konventionelle Reinigung sprunghaft verbessert. Daß darüber hinaus auch die mittel- und langfristige Kostenentwicklung der Abwasserreinigung gebremst und vielleicht sogar verringert werden kann, ist ein weiterer Vorteil. Wir sind allerdings ohne Illusionen, daß die Einführung der Mikrofiltration in kommunalen Klärwerken genauso wie die sicherheits- und umwelttechnischen Verbesserungen beim Auto wie Katalysator, Airbag, ABS-Bremsen, Elektronik etc. zunächst nur über den Weg von Mehrkosten gehen kann, bis durch ausreichend hohe Stückzahlen die Kosten wieder gesenkt werden können. Wir halten es eigentlich für unredlich, wenn Kläranlagenbetreiber und Aufsichtsbehörden ihre Abneigung gegen eine ihnen fremde Technik mit Argumenten der nicht mehr steigerbaren finanziellen Belastung der Bevölkerung begründen, ohne je auch nur den Versuch gestartet zu haben, die Bevölkerung über die Notwendigkeit der Entfernung von Krankheitserregern und Antibiotikaresistenzen in Klärwerken und das zur Zeit eventuell (!) noch nicht vermeidbare Ausmaß der Kostensteigerung aufzuklären. Wir vermuten, daß die Bevölkerung - wie bei der Einführung von Sicherheitstechniken beim Auto - die Vermeidung der vorgetragenen Gesundheitsrisiken beim Benutzen von Gewässern weit schneller versteht und akzeptiert als die Verringerung des Stickstoffgehaltes im Kläranlagenablauf vom Wert x auf den Wert y, im Falle Kassels für einen Betrag von ca. 60 bis 70 Mio. DM. Wir können die einzelnen Kostendaten nicht kommentieren, halten aber zumindestens für den Teil der Mikrofiltration die Methode der Kostenermittlung für absolut nicht tragfähig. Wir werden dies später noch ausführlichem begründen.

Lassen Sie uns zu den wichtigsten Einzelpunkten Stellung nehmen:

 

Ausbreitung von Krankheitserregern:

Von der Methodik der Nachklärung her ist es unbestritten, daß die klassische Klärtechnik mit sedimentativer Rückhaltung von Biomasse und sonstigen Feststoffen Schweb- und schwer sedimentative Stoffe prinzipiell nicht abscheiden kann. Soweit Krankheitserreger mit Schwebstoffen assoziiert sind, werden sie in Gewässer eingetragen, wo sie entgegen landläufiger Meinung noch über große Entfernungen und Zeiten überlebens- und vermehrungsfähig bleiben. An Sinkstoffe angelagerte Krankheitserreger werden mit Klärschlämmen aus der Kläranlage ausgetragen. In beiden Fällen ist das Infektionsrisiko signifikant zu hoch, d.h. beide Emissionspfade liefern seuchenhygienisch sehr bedenkliche Produkte. Nachträglich angewandte Methoden zur Entfernung von Krankheitserregern, die in irgendeiner Form auf direktem oder indirektem (z.B. UV-Strahlung) chemischem Angriff auf Keime beruhen, sind aus hygiene-relevanten Gründen nicht zielführend. Wegen der Vielzahl mechanisch und/oder chemisch stabiler Keime, die in Abwässern vorkommen können, können diese Methoden keine gesicherte Hygienisierung herbeiführen. Wir haben Ihnen zur Demonstration dieser Unsicherheit die Veröffentlichung von Kay et. al. beigefügt. Der in aller Regel angewandte Nachweis über lndikator-Mikroorganismen kann prinzipiell nur die Wirksamkeit einer Desinfektionsmethode gegenüber den angewandten Indikatororganismen beurteilen. lndikator-Mikroorganismen können nur den Nachweis fäkaler Verunreinigungen führen (dies ist ihre Funktion), nicht aber den Nachweis der (ausreichenden) Abwesenheit von Krankheitserregern ! Deswegen setzen wir auf die Methode der unspezifischen Abscheidung durch ausreichend dichte Membranen, d.h. auf eine rein mechanisch wirkende Barriere, die praktisch alle Mikroorganismen zurückhält.

 

Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen:

Der rasante Anstieg von Antibiotikaresistenzen in Kläranlagenabläufen und Gewässern, der Ihnen im Vortrag von Dr. López-Pila vorgestellt wurde, gibt Anlaß zu großer Besorgnis, insbesondere weil diese Eigenschaft und ihre Ausbreitung sich nicht auf wenige spezielle Bakterien beschränkt. Antibiotikaresistenzen können beliebig von pathogenen Keimen zu nicht-pathogenen und umgekehrt weitergegeben und weiterverbreitet werden. Da auf Kläranlagen unvermeidbar die gesamten mit den menschlichen Ausscheidungen transportierten Antibiotikaresistenzen aus der stationären und ambulanten Behandlung Erkrankter zulaufen und Antibiotikaresistenzen in Kläranlagen eher vermehrt als vermindert werden, ist dieser Ausbreitungspfad unabhängig von Ausbreitungspfaden, die der Kläranlage vorgelagert sind, signifikant und muß unterbrochen werden. Der beigefügte Auszug aus dem Jahresbericht 1997 des Umweltbundesamtes zum Problem der Antibiotikaresistenz-Ausbreitung durch Kläranlagen zeigt Ihnen, wie ernst wir dieses Problem nehmen. Bei der Vorstellung des Jahresberichtes vor der Presse war dies eines der zentralen Themen.

Kläranlagenbetreiber und Aufsichtsbehörden ziehen sich zwar in der Regel auf den Standpunkt zurück, daß sie nicht mehr zu tun brauchen als ihnen durch verwaltungsrechtliche Auflagen vorgegeben wird. Der rechtliche Mangel von detaillierten Ausführungsvorschriften zum Bundes-Seuchengesetz ändert jedoch nichts

a) an der grundsätzlichen gesetzlichen Verpflichtung der Kommunen, ein Abwasser herzustellen, das keine gesundheitsschädigenden Wirkungen durch Krankheitserreger hervorrufen kann und

b) an dem sachlich-fachlichen Problem, daß Kläranlagen im Gegensatz dazu ein mit gravierenden Mängeln behaftetes Produkt herstellen und "vertreiben". Diese Verantwortung nimmt ihnen niemand ab, da auch niemand sie daran hindert, diese Mängel zu beseitigen. Kläranlagenbetreiber sollten bedenken, daß mit der Einleitung ihrer Abwässer in Gewässer gleichzeitig ein Ferntransport von Krankheitserregern und Antibiotikaresistenzen ausgelöst wird, dessen Ausbreitungsmuster im konkretem Fall wie auch allgemeinen niemand abschätzen kann. Wir können nur konstatieren, daß in allen unseren Untersuchungen größerer Flußabschnitte die fäkale Belastung für eine unbedenkliche Freizeitnutzung zu hoch war.

Im Gegensatz zum Paragraphen 7a des Wasserhaushaltsgesetz, der einen hohen technischen Standard der Abwasserbehandlung als Voraussetzung für Einleiteerlaubnisse festsetzt, fordert das Bundes-Seuchengesetz die Vermeidung einer Wirkungen, d.h. das Erkranken durch Erreger übertragbarer Krankheiten. Von Mikrobiologen wurden wir darauf aufmerksam gemacht, daß früher die eindeutige und sichere Zuordnung einer Infektion zu einem Infektionspfad (hier: Ablauf einem bestimmten Kläranlage) kaum machbar war. Damit war auch die Frage der Haftung nicht zu klären. Mit der Technik der Gen-Sonden jedoch (vergleichbar der Identifikation von Straftätern mit gentechnischen "finger print"-Methoden) kann die Herkunft von Bakterien relativ sicher verfolgt und bestimmt werden. Damit ist die strafrechtliche Verfolgung auch ohne Ausführungsbestimmung zum § 12 BSeuchG sehr viel einfacher geworden. Wir verweisen auf den Fall des Leiters des Aachener Wasserwerkes, der in Kenntnis von Mißständen im Einzugsbereich des Wasserwerkes, die er nicht zu verantworten hatte, dennoch verurteilt wurde, weil er diese Mißstände hingenommen hat, die dann doch einmal zur mikrobiologischen Verunreinigung des Aachener Trinkwassers führten (Unterlassungstatbestand). Die beigefügte Studie aus England zeigt Ihnen, daß die Erkrankungsrate von Badenden in fäkalbelasteten Freizeitgewässern wesentlich höher ist als man vorher angenommen hatte.

Über Generationen haben wir in und mit der Vorstellung gelebt, daß mit dem derzeitigen Maß an Hygiene offensichtlich genügend getan ist, um Krankheitserreger auf Dauer erfolgreich in Schach zu halten. Was leider (und vielleicht tragischerweise) nicht wahrgenommen oder unterschätzt wird, ist, daß weniger unser derzeitiges Maß an bewußt wahrgenommener Hygiene uns diesen Zustande beschert, sondern vielmehr der massive und außerordentlich erfolgreiche Einsatz von Antibiotika. Viele Operationen und Heilungserfolge sind ohne sie nicht mehr denkbar. Wir dürfen nicht in die Situation geraten, diesen großen medizinischen Erfolg zu verspielen. Die Warnungen der WHO vor der Rückkehr besiegt geglaubter Krankheiten - dieses Mal gehäuft gegen Antibiotika resistent - und die Ihnen präsentierten Messungen in deutschen Gewässern sprechen eine gegenteilige Sprache. Kläranlagen sind ein Teil dieses Problems. Wir haben Ihnen gezeigt, daß dieses Problem bezogen auf Kläranlagen lösbar ist. Mehr kann das Umweltbundesamt nicht tun, d.h. als Umweltbundesamt können wir nur warnen und Hilfe anbieten (evtl. auch finanzielle Hilfe über Demonstrationsvorhaben). Nach deutschem Recht liegt der Vollzug des Wasserrechts und der Gesundheitsvorsorge bei den Bundesländern und bei den Kommunen, d.h. bei Ihnen.

 

Stoffliche Probleme

Konventionelle Kläranlagen müssen wegen des Zwanges, eine sedimentierbare Biozönose zu entwickeln und zu halten, im Zustand des Nahrungsüberschusses gehalten werden. Nur dann entwickeln sich erfahrungsgemäß sedimentierbare Flockenstrukturen. Nahrungsüberschuß bedeutet jedoch unvollständiger Abbau biologisch abbaubarer organischer Stoffe. Der fehlende Zwang zum Abbau auch schwer abbaubarer Stoffe und von in sehr kleinen Konzentrationen biologisch hochaktiven Stoffen (Sammelbegriff "endokrine Stoffe", Arzneimittelreste etc.) weitet sich ebenfalls zum Problem aus, das mit konventioneller Methodik nicht lösbar ist. Da viele dieser Stoffe biologisch abbaubar sind, muß die Belebtschlammbiozönose durch Nahrungsmangel (Corg-Limitierung) gezwungen werden, auch diese Stoffe bis hin zu kleinsten Konzentrationen abzubauen. Technisch wird dieser Zustand erreicht durch weitgehenden oder vollständigen Verzicht auf die Entnahme von Biomasse aus der biologischen Stufe, was eine Zunahme der Biomasse und eine Umstellung der Biozönose auf nicht sedimentierbare Fadenbakterien bewirkt. Dieser Betriebszustand ist wiederum nur durch den Ersatz der Sedimentation durch die Mikrofiltration realisierbar.

Vollständiger biologischer Abbau leicht und schwer abbaubarer organischer Stoffe, geringe Entnahme von Biomasse als Überschußschlamm oder vollständiger Verzicht (wie in der UBA-Anlage), praktisch vollständiger Abbau auch von hohen Zulaufschwankungen, maximale Eliminierungsstabilität und Eliminierungssicherheit, automatische Anpassung der Biozönose an die Rohabwasserbeschaffenheit -

alle diese Effekte sind an die Strategie der Corg-Limitierung gekoppelte Wirkungen. Wir machen auf dieses Phänomen der Bio-Membran-Technik bereits an dieser Stelle deutlich aufmerksam, weil das Verstehen der Wirkungen der Corg-Limitierung unabdingbar ist für die richtige Einschätzung der Leistungspotentials der Bio-Membran-Technologie und damit auch für die kostenmäßige Bewertung.

 

Denitrifikation

Für den in Kassel anstehenden Bau der Denitrifikation bedeutet die Betriebsstrategie der Corg-Limitierung, daß der hohe Sauerstoffbedarfes der Dickschlammbiozönose allein für die endogene Atmung und der hohe Nahrungsmangel einen äußerst schnellen Abbau der zugeführten organischen Stoffe des Rohabwassers im Denitrifikationsbecken unter vollständiger Aufzehrung des eingeschleppten gelösten Sauerstoffs und des Nitratstickstoff-Sauerstoffs bewirken. Wir haben nach der Rückkehr aus Kassel den Denitrifikationsrücklauf unserer Anlage auf 10 : 1 hochgesetzt, was einer Durchlaufzeit des Rohabwasser-Denitrifikationrücklauf-Gemisches von ca. 15 min bedeutet. Selbst bei dieser kurzen Durchlaufzeit liegt im Ablauf der Denitrifikation der Nitrat-N-Gehalt immer noch bei 0,1 mg/l, d.h. wir könnten noch kürzere Durchlaufzeiten realisieren. Der Gehalt an Gesamtstickstoff im Permeat (d.h. im gereinigten Abwasser liegt bei 2 - 4 mg/l.) Kurze Durchlaufzeiten bedeuten kleine Behandlungsvolumina ! Wir haben ferner den Füllstand des Nitrifikationsbeckens von 180 cm auf 100 cm gesenkt, was einer Reduktion der rechnerischen Aufenthaltszeit in der Gesamtanlage von ca. 16 h auf ca. 11 h gesenkt, ohne daß eine Änderung des Rest-CSB (ca. 15 - 20 mg/l) erkennbar wurde. Das heißt auch bezüglich des Abbaus organischer Stoffe, daß die Aufenthaltszeit des Abwassers noch weiter verkürzt werden kann. Wie weit, wissen wir noch nicht. Möglicherweise ist der Anstieg der Biomasse-Konzentration die Bremse. In einer konventionellen Anlage kann ein Rücklauf von 10 : 1 nur mit unsinnig hohen Bauvolumina realisiert werden. Wir hoffen, daß Sie bereits an diesem Beispiel erkennen, daß die Berechnungen der Fachleute Ihres Klärwerks einer Prüfung nicht standhalten können. Wir hatten kurz vor der Anhörung den Membranfilter zum ersten Mal zur gründlichen Reinigung ausgebaut. Die Permeabilität des Filters stieg danach auf das 10-fache an! (besser als Neuzustand !). In Kassel waren wir noch unsicher, wie lange dieser Zustand anhalten würde. Inzwischen betreiben wir unsere Anlage stabil mit wesentlich höherer Permeabilität als je zuvor. Damit werden jede Auslegungsdaten, die auf unsere bisherigen Daten und auch diejenigen aus Leipzig zur Makulatur. Das isolierte Herausgreifen von einigen Betriebsdaten und ihre Hochrechnung ohne Kenntnis der Hintergründe kann nur zu falschen Ergebnissen führen.

 

Kostendiskussion

Die Diskussion möglicher Investitions- und Betriebskosten konnte aus unserer Sicht nicht befriedigend verlaufen. Wir bitten Sie, die folgende Kritik nicht als Mangel an Professionalität der Klärwerke oder der Aufsichtsbehörden oder Einzelner zu verstehen. Hier spielen grundsätzliche Defizite eine Rolle.

Viele, auch renommierte Siedlungswasserwirtschaftler begreifen oder realisieren nicht oder können sich nur schwer hineindenken, daß die Betriebsweise einer Abwasserbiozönose unter strenger Corg-Limitierung einen Bruch mit der bisher gängigen Betriebsweise des Nahrungsüberschusses und des daraus folgenden zwanghaften Anfalls von Überschußschlamm ist. Auch der gut ausgebildete Praktiker realisiert nicht, daß die Sedimentation des Belebtschlammes das Ergebnis einer ständigen Selektion von Bakterien ist. Er kann in der Praxis auch kein Gefühl dafür entwickeln, wohin sich die Biozönose verändert, wenn diese Selektion nicht stattfindet. Die Verführung ist groß, die bisherigen Kenntnisse über Klärschlammbiozönosen unverändert auf die Verhältnisse der Dickschlammbiologie unter Corg-Limitierung zu übertragen. Wir haben diese Fehler auch gemacht und haben deshalb Verständnis dafür. Fehleinschätzungen sind nahezu unvermeidlich und gravierend besonders dann, wenn sie mangels täglicher Auseinandersetzung mit dem Betrieb einer derartigen Anlage nicht korrigiert werden (können). Dieselben Fehleinschätzungen betreffen die eingetauchten Membranen. Es gibt nur wenige Stellen in Deutschland, die diese Membranen über längere Zeiträume unter realen Bedingungen der kommunalen Abwasserreinigung betreiben. Kenntnisse der übrigen Membrantechnik sind wenig hilfreich, weil ein ähnlicher Effekt wie bei der (Fehl)Einschätzung der Abwasserbiologie auftritt. Diese Fehleinschätzungen haben unsere Arbeit in Berlin begleitet. Wir können sie nur zur Kenntnis nehmen, aber nicht verhindern. Diejenigen, die sich mit der neuen Methode der Bio-Membran-Technik praktisch beschäftigen, verbindet eine gemeinsame Erkenntnis, daß sie gar nicht positiv genug über die Leistungsfähigkeit dieses Systems denken konnten. Einer der wichtigsten Erkenntnisse ist, daß der Mangel an praktischer Erfahrung keineswegs ins Desaster führt, weil sich die Leistungssteigerung der Bio-Membran-Technik (bezogen auf die biologischen Effekte) kaum verhindern läßt, wenn man nicht explizit dagegen arbeitet. Wir nennen das Verhalten der Biozönose unter Corg-Limitierung "biologische Selbstregutation" und "biologische Selbstoptimierung". Das bedeutet: je weniger man in das biologische Geschehen eingreift, desto besser und stabiler ist die Elimination. Sowohl die bisherigen positiven Erfahrungen als auch die Erfahrungs- und Erkenntnisdefizite beeinflussen die Kostenüberlegungen.

Zusammengefaßt: die gutgemeinten Bemühungen der Klärwerke, in so kurzer Zeit - jedoch ohne fachliche Erfahrung mit der neuen Methodik - entscheidungsrelevante Zahlen zu produzieren, können zu keinen belastbaren Ergebnissen führen. Die Bezugnahme auf wenige Telefonate bei Herstellern und auf zufällige Bemessungen der wenigen deutschen im Versuchsstadium oder im Bau befindlichen Anlagen sowie auf Tagungsdiskussionen mit mehr oder weniger kompetenten Teilnehmern steht in Bezug auf die zu erwartenden Kosten auf sehr wackligen Füßen. Die Datenlage ist viel zu schmal, als daß der verfahrenstechnische Aufwand und seine Kosten bereits von einer Anlage auf andere Anlagen übertragen werden könnte. Wir können nur den Weg über den Betrieb einer Versuchsanlage empfehlen, der die ortstypische Abwasserbeschaffenheit und sonstige spezifische Randbedingungen (hinderliche wie auch förderliche) sowie auch den Erkenntnisfortschritt der bisherigen Testläufe berücksichtigt. Es kann in dieser Situation gar nicht genug betont werden, daß die potentiellen Anwender der Bio-Membran-Technik aus dem Betrieb einer Versuchsanlage ihre eigenen Erfahrungen und Schlußfolgerungen gewinnen müssen. Die Bezugnahme auf die Leipziger Versuche (Markranstädt) ist ebenfalls höchst fragwürdig, wenn man aus dem Markranstädter Konzept nur isoliert einige Membranauslegungsdaten verwendet. Die Markranstädter Anlage verarbeitet den organischen Anteil des Vorklärschlamms und Regenabwasser mit in der Biomembrananlage, jedoch ohne die übliche ATV-Auslegung. Dies bedeutet eine völlig andere stoffliche und hydraulische Belastung als sie für Kassel angedeutet wurde.

Nichtsdestoweniger kann auch vor dem Betrieb einer Versuchsanlage versucht werden, das Potential an Um- und Neugestaltung durch Ingenieurbüros auszuloten. Gerade das Markranstädter Beispiel zeigt, wie man durch geschickte Nutzung der Membranen auch Regenabwasser mitreinigen kann, ein Punkt, der auch in der Kasseler Diskussion zur Sprache kam. Uns sind zumindest zwei Büros bekannt, die bereits Erfahrung bei der Ausführungsplanung von um- und neuzubauenden Kläranlagen mit integrierter Membrantechnik besitzen 1), 2), . Für Büros ohne profunde Kenntnisse gilt entsprechend das oben Gesagte.

Wir haben uns zu Kostenaussagen bisher verweigert, weil

sich die Membrankosten bisher noch signifikant nach unten bewegen,

jede bisherige Anlage ihre Besonderheiten hat, die Generalisierung verbietet und

die tatsächlichen Herstellungskosten das Ergebnis langer und zäher Verhandlungen sind, deren Details wir nicht kennen.

 

Die zitierten Ingenieurbüros sind auch in dieser Hinsicht kenntnisreicher.

Insgesamt verweigern wir uns aus den eingangs dargelegten Besorgnissen einer Haltung, die einer Anwendung der Bio-Membran-Technik nur dann eine Chance und Berechtigung einräumt, wenn Investitions- und Betriebskosten genau so niedrig wie bei der bisherigen konventionellen Technik mit ihren Defiziten liegen. Um jedoch zu profunderen Kostenschätzungen und -ermittlungen zu kommen, würden wir Ihnen eine Machbarkeitsstudie durch diese Büros empfehlen.

 

 

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1) Süddeutsche Abwasserreinigungs-Ingenieur GmbH, Hörvelsinger Weg 23, 89081 Ulm, Tel.: 0731/9641-230

Ansprechpartner: Dipl.Ing. Eberhard Back [Planung Kläranlage Immenstadt, Planung Kläranlage Markranstädt]

2 Bauer Leipzig Beratende Ingenieure GmbH, Franz-Flemming-Str. 43, 04179 Leipzig, Tel. 0341/446450

Ansprechpartner: Frau Gebauer [Planung, Bauausführung Kläranlage Markranstädt]

 

 

Diskussionsverlauf / Einladung nach Berlin

Wir hoffen, daß wir bei der Anhörung Ihnen und dem Auditorium vermitteln konnten, daß unsere Haltung nicht die ist, durch Negation von Anforderungen niedrige Kosten zu präsentieren. Wir sind allerdings der Überzeugung - gestützt und ermutigt durch den fast 2-jährigen Betrieb einer Bio-Membran-Anlage in technischer Größenordnung - , daß man im Interesse der Gebührenzahler (und vielleicht auch im Eigeninteresse der Stadt Kassel als Emittent nicht hygienisierten Abwassers) mit einer Summe von 60 - 70 Mio. DM mehr erreichen kann und muß als nur den Stickstoffgehalt im Kläranlagenablauf zu senken. Mit der genannten Summe sollten auch und insbesondere die Ausbreitung von Krankheitserregern und Antibiotikaresistenzen durch Abwässer in Angriff genommen werden.

Wir haben Ihnen in der kurzen Zeit nur einen kurzen und zu knappen Eindruck vermitteln können, welches Potential an Verbesserungen der Klärtechnik die Bio-Membran-Technik birgt. Aus mehrjähriger Erfahrung wissen wir, daß eine profunde Information mehr Zeit benötigt. Mitunter diskutieren und beraten wir mit potentiellen Interessen auch einen Tag lang und mehr. Wir bieten dies Ihnen und Ihren Mitarbeitern selbstverständlich auch an und laden Sie zu einem Gespräch in Berlin (mit Besichtigung der Anlage) ein. Wir sind sicher, daß wir auch die Fachleute der Leipziger Wasserwerke GmbH zu diesem Gespräch gewinnen können, so daß Sie aus erster Hand über den Bau der ersten größeren Bio-Membran-Kläranlage (ca. 12.000 Einwohner) in Deutschland informiert werden können.

 

Mit freundlichem Gruß

 

Dr. Jürgen Hahn
(Direktor und Professor)

 

 

[WBR1-1905] {UBA_KS.doc}


Letzte Überarbeitung am: 12.04.01

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